Dagmar Haase

10. April 2017

geschrieben in ESP-DE Blog

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Die Koexistenz zwischen Mensch und Natur in der Stadt gerät zunehmend in den Blickpunkt moderner Nachhaltigkeits- und Gesundheitsdebatten. Stadtnatur ist besonders: vom Menschen seit Jahrhunderten geprägt, verdrängt und designed. Städtische Ökosysteme erhalten den Menschen gesund, verschaffen ihm Freude und Erholung. Und Stadtnatur ist gleichzeitig in Gefahr durch das weitere Wachstum und die aktuelle Verdichtung der Städte und die vielfältigen Ansprüche der Städter an „ihren“ Raum.

Urbane Ökosystemdienstleistungen beschreiben Funktionen, welche von der Stadtnatur erbracht und die von den Bewohnern bewusst und unbewusst genutzt werden. Sie können monetär und nicht-monetär bewertet werden. Beispiele sind die Bereitstellung von Süß- und Trinkwasser durch Niederschlag und natürliche Filtration der Böden, die Regulierung von Abflussspitzen bei Extremniederschlägen und die dadurch erfolgende Minderung von Hochwässern im Stadtgebiet, die Produktion von Obst oder Gemüse in urbanen (Klein-)Gärten, das Bestäuben von Obstblüten durch Stadtbienen oder die Bereitstellung von kühler und unbelasteter Luft auf Frei- und Erholungsflächen. Die Bewertung von Ökosystemdienstleistungen erfolgt einerseits hinsichtlich ihres Leistungspotenzials, das menschliche Wohlbefinden positiv zu beeinflussen, z.B. durch Wahrnehmungs- oder Präferenzstudien.

Studien in Leipzig haben gezeigt, dass Grünflächen wie Parks oder Auenwiesen zur Abkühlung der Luft bis zu 3°C beitragen, besonders unter Baumbestand. Auch angrenzende Siedlungsflächen können davon noch profitieren. Somit sind Baumfällungen in Großstädten immer ein Verlust für die Raumqualität in Städten. Gleiches trifft auch auf die Biodiversität, genauer die Vielfalt der Vogelarten, zu, welche in den altbaumreichen Innenhöfen der Gründerzeit- und Altbauviertel in der Regel außerordentlich hoch ist. Bürgerumfragen in Leipzig und Berlin zeigen, dass die Stadtbewohner Vogelgesang als sehr positiv in ihrer Wohnumgebung wahrnehmen. Eine Vielzahl von Studien konnte zudem zeigen, dass Stadtgrün, v.a. baumbestandene Parks und Wälder, ein hervorragender Filter für Staub, Partikel und anderen Emissionen aber auch für Verkehrslärm ist. Neben ihrer lufthygienischen Wirkung binden Stadtbäume auch CO2 aus der Stadtluft und entziehen es der Atmosphäre. Bis zu 13 Tonnen Kohlenstoff jährlich sind das in einer Stadt wie Leipzig, was allerdings bei 3,4 Millionen Tonnen jährlicher CO2-Emission der Stadt nur ein sehr kleiner Beitrag zur Verminderung der Treibhausgasemissionen ist.

Neben der reinen Funktionalität der Stadtnatur Ökosysteme aber auch aktiv vom Stadtbewohner gestaltet. So zum Beispiel in Kleingärten und Gemeinschaftsgärten, welche in europäischen Städten weit verbreitet und beliebt sind. Bis heute wird in über 73000 Kleingärten aktiv Obst und Gemüse angebaut und sich erholt. Gemeinschaftsgärten oder auch interkulturelle Gärten sind vergleichsweise junge Phänomene, welche als Zwischennutzung eine Antwort auf ein flächiges Schrumpfen und viele Brachen in der inneren Stadt waren. Hier spielt die soziale Komponente an einem Ort gemeinsamen Arbeitens und Lernens eine große Rolle. Gemeinschaftsgärten sind öffentlich zugängliche Räume des passiven und aktiven Naturerlebens für den Menschen und gleichzeitig Standorte lokaler Biodiversität für Flora und Fauna, also kleine Refugien der urbanen Nachhaltigkeit. Allerdings sind aktuell viele Gärten vom erneuten Wachstum und der Innenstadtverdichtung bedroht, gerade, wenn Pachtverträge auslaufen und Bauland Gegenstand spekulativer Investitionen wird, was gegenwärtig in vielen europäischen Städten der Fall ist. Vor allem die Gemeinschaftsgärten, Pioniere der Quartiersentwicklung in der Schrumpfungsphase nach 1990, werden so nun Opfer des eigenen Erfolges.

Der Zugang zu Stadtnatur ist nicht gleichmäßig über eine Stadtfläche verteilt und bis heute können nicht überall planerische Zielwerte von ca. 10 m2 städtische Grünfläche pro Kopf oder eine Maximaldistanz von bis zu 500 Meter von der Wohnung zur nächsten Grünfläche für die tägliche Erholung eingehalten werden. Vor allem südeuropäische Städte wie Bari oder Barcelona verfügen über vergleichsweise wenig Grün im Vergleich zu den großen Stadtwäldern in Stockholm, Helsinki aber auch vielen deutschen Städten. Zudem ist das Grün nicht nur ungleich über die Stadtfläche verteilt, was physisch-geographische als auch historische Gründe hat, auch der Zugang und die Erreichbarkeit zu den öffentlichen Grünflächen ist in vielen Städten ungerecht. In Berlin, um ein typisches Beispiel anzuführen, besteht eine deutliche Ungleichverteilung zwischen Bevölkerungs- und Grünflächenkonzentration, welche für Bewohner mit Migrationshintergrund sogar noch höher ist. Vergleichbare Ergebnisse bekommt man bei der Zugänglichkeit urbaner Gewässer oder auch von entsiegelten Brachflächen, welche einen nicht zu unterschätzenden Aufenthaltswert haben, gerade für informelle oder mit der klassischen Erholungsnutzung konfligierende Nutzungen wie „Gassi gehen“ oder sommerliche lärmintensive Freiluftparties. Insofern sind bei einer umfassenden Bewertung der Umweltgerechtigkeit in Städten verschiedene Typen von Grünflächen einzubeziehen, welche bestehende Nutzungskonflikte betreffs Lärm oder Sicherheit besser moderieren und ausbalancieren können.

Im EU-FP7 Forschungsprojekt GREEN SURGE wird der im Beitrag angesprochene Doppelpass zwischen Ökosystem und Mensch vertiefend in verschiedenen europäischen Fallstudien, u.a. Berlin, Malmö, Ljubljana, Edinburgh, Helsinki und Lissabon, untersucht.

Ansprechpartner:

Dagmar Haase, Geographisches Institut, Humboldt-Universität zu Berlin, Unter den Linden 6, 10099 Berlin, Germany oder Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung – UFZ, Department Landschaftsökologie, Permoserstraße 15, 04318 Leipzig, dagmar.haase@ufz.de

Publikation:

Haase D, Frantzeskaki N, Elmqvist T 2014. Ecosystem Services in Urban Landscapes: Practical Applications and Governance Implications. AMBIO 43(4), 407–412. DOI 10.1007/s13280-014-0503-1.

Haase D, Larondelle N, Andersson E, Artmann M, Borgström S, Breuste J, Gomez-Baggethun E, Gren A, Hamstead Z, Hansen R, Kabisch N, Kremer P, Langemeyer J, Lorance Rall E, McPhearson T, Pauleit S, Qureshi S, Schwarz N, Voigt A, Wurster D, Elmqvist T 2014. A quantitative review of urban ecosystem services assessment: concepts, models and implementation. AMBIO 43(4), 413–433. DOI 10.1007/s13280-014-0504-0.

Urbaner Doppelpass – Ökosystemdienstleistungen zum Schutz von Natur und menschlicher Gesundheit

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