Erholung gewinnt in der Gewässerentwicklung zunehmend an Bedeutung. Ein experten- und geodatenbasiertes Bewertungsmodell ermöglicht es, das Erholungspotenzial von Fließgewässern abzubilden – effizient, präzise und nah an den Bedürfnissen der Erholungsuchenden.
Erholung ist ein menschliches Grundbedürfnis und notwendig für die körperliche und psychische Regenerierung. Verschiedene Untersuchungen zeigen, dass naturnahe und als natürlich wahrgenommene Gebiete die Erholung besonders fördern. Das gilt insbesondere für Gewässer.
Der Kanton Zürich plant in den kommenden Jahren verschiedene Maßnahmen an Gewässern und in ihrem näheren Umfeld. Dazu gehören die Revitalisierung vieler Fließgewässer und die Neugestaltung ihrer Uferbereiche um den Gewässern mehr Raum zu geben. Dabei sind neben dem Hochwasser- und dem Naturschutz sowie der Energiegewinnung auch die Bedürfnisse der Bevölkerung und insbesondere die Möglichkeit zur Naherholung relevant.
Wer für die Gewässerentwicklung verantwortlich ist, stellt sich derzeit folgende Fragen:
- Wo sollen mit welchen Zielen welche Maßnahmen realisiert werden?
- Wo ist die Nachfrage nach Erholung besonders hoch?
- Wo ist die Erholungseignung schon heute besonders gut?
- Wo lässt sich mit einfachen Maßnahmen viel erreichen und wo sollte auf die Naherholung zu Gunsten anderer Funktionen (bspw. Naturschutz) verzichtet werden?
Literatur, Experten, und Geodaten: solide Basis für ein flexibles Bewertungsmodell
Die Gesamtlänge der Fließgewässer im Kanton Zürich beträgt rund 3.600 km. Sie alle zu kartieren und im Hinblick auf die genannten Fragestellungen zu beurteilen ist aus finanziellen und zeitlichen Gründen nicht praktikabel. Ein Modell kann hier Abhilfe schaffen.
Basierend auf einer Literaturauswertung und mit Hilfe von Experten wurden zunächst die Faktoren festgelegt, die für die Erholungseignung eines Gewässers und seiner Umgebung relevant sind (bspw. Erreichbarkeit, umgebende Nutzung, Natürlichkeit des Gewässers). In mehreren Befragungs- und Diskussionsrunden galt es anschließend, deren relative Gewichtung zu bestimmen und daraus ein Modell zu erarbeiten, das 143.145 maximal 50 m langen Gewässerabschnitte entsprechend ihrer Erholungseignung bewertet. Hierzu waren verschiedene präzise Geodaten, die die Faktoren darstellen, in das Modell einzuspeisen und zu verarbeiten. Durch unterschiedliche Gewichtung der Faktoren lässt sich das Modell in verschiedenen Varianten auf die Bäche, Flüsse und Kanäle des Kantons anwenden.
Reality-Check: Das Modell verbindet die Bedürfnisse der Bevölkerung mit den Planungen der Entscheidungsträger
Expertenbasierte Modelle wie das oben beschriebene stehen gelegentlich in der Kritik, die Bedürfnisse der breiten Bevölkerung nicht adäquat abzudecken. Eine Umfrage sollte deshalb sicherstellen, dass im Kanton Zürich nicht an den Erholungssuchenden vorbei geplant wird: Anhand von Beschreibungen, Fotos, Luftbildern und Karten bewerteten 551 Personen die Erholungseignung von 6990 Fließgewässerabschnitten. Die Abschnitte waren den Befragten teilweise bekannt, teilweise unbekannt.
Die Ergebnisse der Befragung zeigten: Eine der Modellvarianten kann die Realität sehr gut abbilden. Diese diente daher der Bewertung sämtlicher Gewässerabschnitte des Kantons. Die Resultate wurden anschließend kartographisch aufbereitet und zusammen mit weiteren Informationen in eine Online-Plattform (verfügbar unter: gr-vis.ethz.ch) integriert. Sie unterstützt Behörden und Planer bei der Arbeit an und in Gewässern und ermöglicht es, die Erholung an Fließgewässern besser in planerische Abwägungen und Entscheidungen zu integrieren.
Der Autor
Sven-Erik Rabe arbeitet am Institut für Raum und Landschaftsentwicklung an der ETH Zürich als Dozent und wissenschaftlicher Mitarbeiter und hat einen Lehrauftrag an der TU München am Lehrstuhl für Strategie und Management der Landschaftsentwicklung. Kontakt: rabes@ethz.ch
Veröffentlichung
Rabe, S.-E.; Gantenbein, R.; Richter, K.-F. & Grêt-Regamey, A. (2018). Increasing the credibility of expert-based models with preference surveys – Mapping recreation in the riverine zone. Ecosystem Services. https://doi.org/10.1016/j.ecoser.2017.12.011