Mario Brillinger

10. Dezember 2020

geschrieben in Alle Neuigkeiten, ESP-DE Blog

Seit einigen Jahren wachsen das Interesse und die Erwartungen der Politik und Forschung an sogenannten naturbasierten Lösungen (engl. Nature-Based Solution, kurz NBS). Darunter werden Maßnahmen verstanden, welche die Wirkungsweise von Ökosystemprozessen grüner und blauer Infrastrukturen nutzen und fördern, um dadurch gesellschaftliche Herausforderungen, wie die des Klimawandels, des Biodiversitätsverlusts und des mangelnden Gewässerzustandes, auf nachhaltige Weise bewältigen zu können (Albert et al. 2019). Ein Typ von NBS sind Maßnahmen des natürlichen Wasserrückhalts wie die Renaturierung von Flussauen und die Wiederanbindung von saisonalen Bächen, die durch die Verbesserung natürlicher hydrologischer Prozesse im Gewässersystem zur Verringerung des Hochwasserrisikos, zur Verbesserung der Wasserqualität und zur Förderung der Artenvielfalt beitragen können (www.nwrm.eu). Diese Potentiale wurden auch zunehmend von der europäischen und nationalen Wasserpolitik erkannt (REF). So wurde beispielsweise mit der EU-Hochwasserrichtlinie (2007/60/EG) und der damit verbundenen Einführung von Hochwasserrisikomanagementplänen (HWRM-Pläne) das Leitbild “den Flüssen mehr Raum zu geben” institutionalisiert (Hartmann 2011). Das Hochwasserrisiko in Flussgebieten soll künftig nicht nur mit massiven, wasserbaulichen Anlage wie Deiche, Polder und Rückhaltebecken, sondern auch mit der Rückgewinnung von natürliche Rückhalteräume und mit Maßnahmen der Verhaltens- und Risikovorsorge verringert werden. Hierzu müssen die verantwortlichen Behörden für jedes Flusseinzugsgebiet HWRM-Pläne erstellen, die für den räumlichen Geltungsbereich des Plans das potentielle Hochwasserrisiko bestimmen und ein geeignetes Maßnahmenprogramm zur Minderung des festgestellten Hochwasserrisikos zusammenstellen.

In einer im Sommer veröffentlichten Studie in der renommierten Fachzeitschrift Environmental Science and Policy untersuchen Mario Brillinger, Reimund Schwarze und Christian Albert inwiefern Maßnahmen, die als NBS klassifiziert werden können, in HWRM-Plänen in Deutschland berücksichtigt werden. Mit Hilfe einer Dokumentenanalyse wollten sie einerseits wissen, wie hoch der relative Anteil von NBS in den jeweiligen HWMP-Plänen von ausgewählten Bundesländern ist. Andererseits erhofften sie sich durch die inhaltsanalytische Auswertung der Pläne herauszufinden, welche Faktoren den Umfang der vorgeschlagenen NBS erklären können. Für die Analyse wurden die Bundesländer Hessen, Niedersachsen und Sachsen ausgewählt, weil sich die drei Bundesländer wesentlich in ihrer Wasserwirtschaftsverwaltung, ihrer Form der Regionalplanung und Betroffenheit von vergangenen Hochwasserereignissen unterscheiden. Die Dokumentenanalyse umfasste 19 HWRM-Pläne, die für die erste Planungsperiode von 2012 bis 2015 in den drei Bundesländer erstellt worden sind.

Die Studie zeigt, dass NBS nur sehr selten in HWRM-Plänen aufgegriffen werden (lediglich 9% aller in den HRWM-Plänen vorgeschlagenen Maßnahmen bei insgesamt 4282 Einzelmaßnahmen. Stark vertreten sind in HWRM-Plänen dagegen Maßnahmen der Verhaltens- und Risikovorsorge (ca. 45%) und Maßnahmen des technischen Hochwasserschutzes (ca. 41%). Die drei Bundesländer unterschieden sich zudem im Blick darauf, in welchem Umfang unterschiedlicher NBS-Typen berücksichtigt wurden. Hessen schlug die meisten NBS in ihren HWRM-Plänen vor und bevorzugte dabei vor allem Renaturierungsmaßnahmen des Uferbereichs und Maßnahmen der Flussauenentwicklung. Niedersachsen zeigte die wenigsten NBS und präferierte am meisten die Wiederherstellung von natürlichen Rückhalteflächen. In Sachsen konnte dagegen relativ häufig der Rückbau von Wehren als NBS klassifiziert werden. Des Weiteren haben wir die mögliche Wirkung bestimmter Kriterien auf die Umfänge der vorgeschlagenen NBS untersucht. In den von uns analysierten HRWM-Plänen wurden NBS dann tendenziell stärker berücksichtigt, wenn es sich um kleinere Nebenflüsse und Situationen mit geringer Hochwassergefahren handelte. Zudem hing die Berücksichtigung von NBS auch von der qualitativen Abschätzung der Wirksamkeit und der zu erwartenden Kosten und Nutzen ab. Im Vergleich zu den vorgeschlagenen Maßnahmen des technischen Hochwasserschutzes und der Verhaltens- und Risikovorsorge wurde bei NBS häufiger davon ausgegangen, dass sie sich nicht positiv auf die Minderung des Hochwasserrisikos auswirken und mehr Planungs- und Verwaltungskosten verursachen.

 

Um NBS künftig besser in der Planung des Hochwasserrisikomanagements berücksichtigten zu können, sollten die HWRM-Pläne bei der Zusammenstellung eines geeigneten Maßnahmenprogramms verschiedene räumliche Ebenen mit unterschiedlichen Detaillierungsstufen in Betracht ziehen und multikriteriellen Bewertungsmethoden anwenden, welche die besten verfügbaren Daten über die vielfältigen Wirkungen von NBS und anderen Maßnahmen nutzen Informationen nutzen und das lokale Wissen von betroffenen Akteuren integrieren.

Referenzen

Albert, C., Schröter, B., Haase, D., Brillinger, M., Henze, J., Herrmann, S., Gottwald, S., Guerrero, P., Nicolas, C., & Matzdorf, B. (2019). Addressing societal challenges through nature-based solutions: How can landscape planning and governance research contribute? Landscape and Urban Planning, 182, 12–21.

Hartmann, T. (2011). Den Flüssen mehr Raum geben – Umsetzungsrestriktionen in Recht und Praxis. Raumforschung Und Raumordnung, 69(4), 257–268.

Originalstudie

Brillinger, M., Dehnhardt, A., Schwarze, R., & Albert, C. (2020). Exploring the uptake of nature-based measures in flood risk management: Evidence from German federal states. Environmental Science and Policy, 110 (June 2019), 14–23.

 

Naturbasierte Lösungen werden in deutschen Hochwasserrisikomanagement – Plänen kaum berücksichtigt

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