Dagmar Haase, Manuel Wolff, Karolina Sitnik

10. Juni 2020

geschrieben in Alle Neuigkeiten, ESP-DE Blog

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Im Gegensatz zu viele Studien zu Erholungsaktivitäten auf und in urbanen Grünflächen wie Parks, Gärten oder grünen Brachen im Sommer gibt es kaum Studien zu der Wahrnehmung und Nutzung von Ökosystemleistungen grüner Infrastrukturen im Winter. Man könnte nun sagen, im Winter „schläft die Natur“ – dies greift aber aus zwei Gründen zu kurz. Zum einen ist der Winter eine wichtige Jahreszeit für mitteleuropäische Ökosysteme, da Energie- und Stoffaustausch sowie –produktion heruntergefahren werden und sich gerade im Sommer stark frequentierte Grünflächen „erholen“ können. Zum anderen kann insbesondere im Zuge des Klimawandels in vielen Regionen Europas, beobachtet werden, dass Lufttemperaturen in der kalten Jahreszeit bis auf über 20 Grad steigen, Grünflächen grün bleiben und Hecken und Gefäßpflanzen im Winter blühen. Führen die weniger kalten Winter jetzt dazu, dass urbane Grünflächen ganzjährig genutzt werden und damit diese Ruhepause verloren geht? Ist es gar eine positive Entwicklung, da die Outdoor-Erholung in unseren Städten nun ganzjährig gegeben ist und damit noch effektiver zur Gesundheit bzw. zum Wohlbefinden der Bewohner beiträgt?

Dieser Frage ist ein interdisziplinäres Studienprojekt am Institut für Geographie der Humboldt-Universität zu Berlin nachgegangen. In enger Zusammenarbeit mit dem wissenschaftlichen Fachpersonal haben die Studierenden verschiedene Strukturen in bekannten Parks in Berlin kartiert sowie mittels einer teilnehmenden Beobachtung Parkbesucher und deren Aktivitäten gezählt und aufgelistet. Insgesamt wurden fünf Parks in Berlin untersucht, beginnend vom bekannten Tiergarten über das noch junge Gleisdreieck, den hochfrequentierten Mauerpark, den Friedrichshain sowie den Park Weißensee. Die Parks befinden sich also entlang eines West-Ost-Gradienten, jedoch so im zentralen Bereich der Großstadt gelegen, dass sie stark genutzt werden. Um ein möglichst repräsentatives Bild zu erhalten wurden die Beobachtungen und Zählungen an verschiedenen Tagen und zu verschiedenen Tageszeiten durchgeführt. Im Abgleich mit bestehendem empirischen und literaturbasierten Wissen zu Ökosystemleistungen während der Sommersaison ergeben sich spannende Erkenntnisse.:

Es sind vergleichsweise wenige BesucherInnen in den Parks unterwegs. Dies liegt neben den kühleren Temperaturen auch an den „kürzeren Tagen“. Insbesondere sind Nutzer häufig allein oder zu zweit, selten in größeren Gruppen wie sie oft im Sommer anzutreffen sind. Insbesondere ist die Zahl von Kindern und Älteren, welche Erholung in der Natur und das bloße „draußen sein“ unbedingt brauchen, selten. Kinder wurden zumeist nur in Begleitung eines Elternteils gesehen. Ähnlich zur Sommernutzung ist die hohe Frequenz der Hundebesitzer und der Sportler deutlich zu beobachten (Rad, Joggen). Hier werden vor allem – fast ausschließlich – die vorhandenen Wege genutzt, die Wiesen bleiben unberührt und können sich regenerieren, wofür die höheren Temperaturen der aktuellen Winter durchaus förderlich sind. Man kann annehmen, dass die Bodenlebewelt in den milden Wintern auch deutlich aktiver ist und somit Atmungs- und Abbauprozesse weitergehen sowie auch die Humusbildung.

In Bezug auf die Wahrnehmung der Parks ergibt sich die Frage, ob die Nutzer schneereiche „weiße“ Winter erwarten oder vermissen und deren Ausbleiben zu einer geringeren Parknutzung im Winter führt. Das wäre eine spannende Frage für eine tiefer gehende qualitative Studie der Präferenzen von Parknutzern im Winter.

Ein weiteres interessantes Ergebnis der Studie war, dass die Infrastruktur in den Parks – also Bänke, Rasen, Grillplätze, Volleyball und Basketballfelder, auch Spielplätze – deutlich weniger bis kaum genutzt wurden und daher für die Nutzung von Winter-Ökosystemleistungen nicht besonders relevant sind. Zudem war auffällig, dass Spielplätze aber auch Wege häufiger für Wartungs-, Bau- oder Instandhaltungsarbeiten gesperrt, geschlossen oder eingezäunt waren, ein typischer Aspekt für urbanes Flächenmanagement im Winter.

Viel wichtiger für die Wintersaison ist das Wegenetz: Wege sind geräumt und weniger rutschig oder einfach sauberer, was für viele Parkbesucher in den kartierten Parks sehr wichtig schien. Ungepflegte nasse Wiesen oder anderen Flächen stellen ganz klar im Winter Barrieren der Parknutzung bzw. der Freiflächennutzung dar, sodass selbst Sportler häufig nur die Wege nutzen. Aufgrund der kurzen Tage ist die Parkbeleuchtung essentiell für die Nutzung, wie etwa in den großen dunklen Bereichen des Tiergartens im Gegensatz zum sehr gut beleuchteten und einsehbaren Park Weißensee oder zum Mauerpark. Aufgrund der kühlen und eher unbeständigeren Witterungsbedingungen ist der direkte Zugang zum öffentlichen Personennahverkehr wie Bus-, U-Bahn- oder S-Bahnhaltestellen, enorm wichtig. Da die Fahrradnutzung geringer ist als in den wärmeren Jahreszeiten, sind kurze Wege zwischen Wohnung, Arbeitsstelle und Park(eingang) entscheidend für einen Parkbesuch.

Insgesamt lässt sich zusammenfassen, dass die Nutzung als auch Erreichbarkeit von Grünflächen im Winter wesentliche Unterschiede zur Sommersaison in Bezug auf Infrastrukturen, Vegetation und Aktivitäten zeigt. Von der wissenschaftlichen Perspektive bleibt zu hinterfragen, welche vermutete Unterschiede sich auch in Bezug auf Präferenzen und Wahrnehmungen bestätigen lassen. Von der Perspektive der Stadtplanung bleibt fraglich, ob man das Management der Grünflächen auch bei immer wärmer werdenden Wintern aufrechterhalten kann – insbesondere wenn der Winterschlaf von Grünflächen immer kürzer wird.


Abbildung 1: „Leere“ – ein ganz anderer Eindruck unserer Grünflächen…


Wege – die wichtigste Infrastruktur im Winter Bild von Wegen


Wiesen – Regeneration durch Nichtnutzung!? Bild vom gesperrten Spielplatz

 

Die Ruhepause nutzen: Grünflächen und deren Ökosystemleistungen „im Winterschlaf“. Das Beispiel Berlin.

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