Lisa Huber

19. Juni 2020

geschrieben in Alle Neuigkeiten, ESP-DE Blog

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In einer multifunktionellen Landschaft werden mehrere Ökosystemleistungen innerhalb desselben abgegrenzten Gebietes bereitgestellt. Multifunktionelle Landschaften haben den Vorteil, dass sie zugleich soziale, kulturelle, ökologische und ökonomische Bedürfnisse der BewohnerInnen abdecken und daher Konflikten zwischen unterschiedlichen Nutzergruppen vorsorgen und entgegenwirken können. Multifunktionalität ist ein zentraler Bestandteil einer nachhaltigen Landschaft, um den Herausforderungen des globalen Wandels standzuhalten. Aus diesen Gründen wurde Multifunktionalität ein Kerngedanke in Raumplanung und Landnutzungspolitik.

Für unsere Fallstudie untersuchten wir die beiden Bergdörfer Vent und Obergurgl in den Ötztaler Alpen in Österreich. Die Bereitstellung von Ökosystemleistungen in den beiden Dörfern wird nicht nur durch naturräumliche Gegebenheiten bestimmt, sondern durch Landnutzungsentscheidungen der Bevölkerung maßgeblich beeinflusst. So wie im gesamten Alpenraum, war auch die Landnutzung in Obergurgl und Vent lange Zeit für die Bereitstellung von Versorgungsleistungen („Provisioning Ecosystem Services“) optimiert (z.B. landwirtschaftliche Produktion und Rohstoffe), da diese die Lebensgrundlage der EinwohnerInnen bildeten. Beginnend mit Mitte des 19. Jahrhundert wandelte sich die Wirtschaft des gesamten Alpenraums und somit auch die Landnutzung: Landwirtschaftliche Flächen in Gunstlagen (Tallagen) wurden intensiviert, während schwer zu bewirtschaftende Flächen (z.B. alpines Grasland) aufgelassen wurden. Gleichzeitig rückten im Zuge des aufkommenden Tourismus kulturelle Ökosystemleistungen („Cultural Ecosystem Services“), z.B. Ästhetischer Wert oder Erholung, stärker in den Fokus. Deren Bereitstellung wurde mit besserer Zugänglichkeit zu Gebieten mit hoher Ästhetik (z.B. Almen) durch den Ausbau des Straßen- und Wegenetzes gefördert. Auch Regulierungs- und Unterstützungsleistungen („Regulation and Maintenance Ecosystem Services“) gewannen an Bedeutung und wurden gezielt gefördert, vor allem da sie erstmals bewusst von Gesellschaft und Politik wahrgenommen wurden (z.B. Klimaregulierung, Luftqualität, Bestäubung…).

Historische Entwicklung der Multifunktionalität in den beiden Bergdörfern Obergurgl und Vent. Die Multifunktionalität wurde als Summe von sechs normalisierten Ökosystemleistungen berechnet: zwei Versorgungsleistungen („Futtermittelproduktion“ und „Wasserversorgung“), zwei Regulierungs- und Unterstützungsleistungen („Pflanzenvielfalt“, „Naturgefahrenregulierung“) und zwei kulturelle Leistungen („Ästhetischer Wert“ und „Erholungswert“).

Wie in unserer Studie gezeigt und diskutiert wird, kann eine Balance zwischen landwirtschaftlichen und touristischen Aktivitäten die Multifunktionalität optimieren. Bei einer zu starken ökonomischen Abhängigkeit von Lebensmittel- oder Holzgewinnung (Versorgungsleistungen) geraten Regulierungs- und Unterstützungsleistungen sowie kulturelle Leistungen oft in den Hintergrund. Denn um die Ernte zu maximieren, werden bestehende Landwirtschafts- und Waldflächen intensiviert (z.B. durch Monokulturen und den Einsatz von Pestiziden und Dünger) und somit viele ihrer ökologischen Funktionen zerstört. Auf der anderen Seite können aber landwirtschaftliche Tätigkeiten, vor allem von geringer Intensität, die Bereitstellung vieler Regulierungs- und Unterstützungsleistungen sowie kultureller Leistungen unterstützen. Die Intensität der Nutzung ist hier aber entscheidend: Intensives Grasland (gedüngte Mähwiesen) bringt höhere Erträge, jedoch geringere Artenvielfalt, ästhetischen Wert, Erholungswert und Qualität des Sickerwassers als extensives Grasland (ungedüngt, weniger als 1 Schnitt pro Jahr). Zusammenfassend gilt: Die Extensivierung der Landwirtschaft ist positiv für die Multifunktionalität, eine komplette Auflassung jedoch negativ.

In Obergurgl und Vent fungiert der Tourismus als „Gegenspieler“ des Landwirtschaftssektors. Touristische Aktivitäten können potentiell die Bereitstellung mehrerer Ökosystemleistungen erhöhen, z.B. aufgrund besserer Erreichbarkeit von Gebieten mit hohem ästhetischen Wert oder Erholungswert durch Ausbau der Infrastruktur. Außerdem ist es auch durchaus positiv zu sehen, dass Graslandflächen mit extensiver Bewirtschaftung für Skipisten offengehalten werden und eine Wiederbewaldung somit vermieden wird. Allerdings konnten unsere Modelle nicht alle Aspekte der Bewirtschaftung berücksichtigen: So kann beispielsweise die mechanische Einwirkung auf die Vegetation durch die Präparation der Skipisten manche Pflanzenarten verdrängen und somit die eigentlich hohe Pflanzenvielfalt im extensiven Grasland doch wieder verringern.

Das Nebeneinander von Landwirtschaft und Tourismus kann die Multifunktionalität der Landschaft bis zu einem gewissen Grad optimieren.
Autorin:

Lisa Huber, Institut für Ökologie, Universität Innsbruck. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt in der Analyse von sozial-ökologischen Systemen und der Modellierung und Kartierung von Ökosystemleistungen in den Europäischen Alpen.

Projekt:

Das Projekt RESULT (Resilience through synergies between agriculture and tourism) wurde von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften finanziert und erforscht Synergien von Landwirtschaft und Tourismus. Insbesondere wird der Frage nachgegangen, ob und wie sich ein Zusammenspiel auf die Resilienz, also die Widerstandsfähigkeit der Gesellschaft und des Naturraums gegenüber externen Störungen oder „Schocks“, auswirken.

Publikation:

Huber, L., U. Schirpke, T. Marsoner, E. Tasser, and G. Leitinger. 2020. Does socioeconomic diversification enhance multifunctionality of mountain landscapes? Ecosystem Services 44: 101122. Doi: https://doi.org/10.1016/j.ecoser.2020.101122

Weitere Literatur:

Schirpke, U., A. Altzinger, G. Leitinger, and E. Tasser. 2019. Change from agricultural to touristic use: Effects on the aesthetic value of landscapes over the last 150 years. Landscape and Urban Planning 187:23-35. Doi: https://doi.org/10.1016/j.landurbplan.2019.03.004

Tasser, E., U. Schirpke, B. M. Zoderer, and U. Tappeiner. 2020. Towards an integrative assessment of land-use type values from the perspective of ecosystem services. Ecosystem Services 42: 101082. Doi: https://doi.org/10.1016/j.ecoser.2020.101082

Multifunktionelle Landschaften in den Alpen

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