Dagmar Haase und Diana Dushkova

18. Juli 2019

geschrieben in Alle Neuigkeiten, ESP-DE Blog

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Um sich den Herausforderungen des Klimawandels, des Erhalts städtischer Ökosysteme, des Biodiversitätsverlusts und menschlicher Gesundheit in unseren europäischen Städten effizienter und zielorientierter zu stellen, rücken sogenannte „naturbasierte Lösungen“ (nature-based solutions oder kurz NBS) immer stärker in den Blickpunkt von Forschung und Politik. Diese können bei der Bewältigung dieser Herausforderungen helfen. NBS sind an die Wirkungsweise der Natur angelehnte Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels und die Anpassung städtischer Gebiete und ihrer ländlichen Umgebung an diesen. Aber auch der Prozess der Stadterneuerung kann durch naturbasierte Ansätze neugestaltet werden: Für Brachen müssen neue Nutzungskonzepte gefunden und umgesetzt werden, um auf diese Weise neue und nachhaltige Geschäftsideen zu fördern, Städte als Reallabore für Innovationen zu nutzen und die Kosteneffizienz solcher Entwicklungen zu testen. Bestehende Städtenetzwerke können dabei eine Schlüsselrolle zur Replikation von Demonstrationsprojekten und der Verbreitung solcher Interventionen einnehmen.

Abb. 1: NBS Beispiele in Leipzig. Karl-Heine Kanal. Copyright: Dagmar Haase

Das EU Horizon 2020 Projekt Connecting Nature („Coproduction with nature for city transitioning, innovation and governance”) widmet sich unter den oben benannten Gesichtspunkten den urbanen NBS. Im Projekt werden NBS gemeinsam mit den Fallbeispielstädten entwickelt und erstellt, die zur gemeinsamen Schaffung resilienter, grüner, gesünderer Städte führen und zu einem nachhaltigeren Leben der Stadtbevölkerung beitragen. Das Hauptziel dieses Projekts ist es, die Effizienz, Effektivität und Nachhaltigkeit von NBS für nachhaltige und lebenswerte Städte unter dem Motto „to innovate with nature to build climate resilience in cities“ systematisch zu bewerten. Zu diesem Zweck wurde eine NBS-Datenbank entwickelt, welche bisher 343 Fälle von NBS-Interventionen in Städten in ganz Europa enthält. Für jede dieser NBS-Fallstudien sind detaillierte Informationen vorhanden. Neben Daten zum Standort werden Projektinformationen wie Größe des Projekts, deren Skalierung und der Zeitraum der Umsetzung dargestellt. Des Weiteren werden die Wirkung der NBS auf den Klimawandel, welche konkreten Maßnahmen getroffen werden, die Motivation hinter dem Projekt sowie zusätzliche Vorteile und Nutzen durch das Projekt beschrieben und dargestellt. Auch die Initiatoren, beteiligten Interessensgruppen, das Budget sowie ein Link zu weiteren Informationen zu den Fallstudien sind in der Datenbank enthalten (Abb. 2).

Abb. 2: Datenbankauszug. Copyright: Dagmar Haase und Diana Dushkova

Die Suche nach relevanten NBS-Projekten konzentrierte sich unter anderem auf europäische und internationale Plattformen wie CLIMATE-ADAPT oder „Mayors Adapt“. Die Datenbank umfasst auch bestehende Online-Datenbanken wie OPPLA und EKLIPSE oder große internationale und nationale Projekte zu NBS sowie grünen und blauen Infrastrukturen in Städten, die durch das Konsortium von Connecting Nature identifiziert wurden. Ebenfalls wurden wissenschaftliche Publikationen und Berichte verschiedener europäischer Agenturen, Berichte von NBS auf Web-Plattformen, Buchveröffentlichungen und Regierungsdokumente in der Datenbank berücksichtigt.

Die 343 NBS-Fallstudien verteilen sich über den gesamten europäischen Kontinent und umfassen Beispiele aus Nord-, West-, Süd- und auch aus Osteuropa (Abb. 3). Die Fälle sind in Europa bekannt und nach Ansicht der Autoren auch repräsentativ für den aktuellen Stand der Umsetzung von NBS im urbanen Europa. Die Datenbank umfasst 158 Städten aus 27 EU-Ländern. Die meisten Fälle sind in Deutschland, den Niederlanden und dem Vereinigten Königreich zu verzeichnen. Die meisten NBS-Fallstudienstädte haben weniger als 250.000 Einwohnern, d.h. Erfahrungen zu NBS kommen vorrangig aus “kleineren” Städten. Der größte Teil der NBS-Projekte wurde auf städtischer Ebene umgesetzt, allerdings sind auch die lokale und Nachbarschaftsebenen zu berücksichtigen. Denn auch hier funktionieren NBS gut. Die Umsetzung der meisten Projekte zu NBS auf städtischer Ebene begann nach dem Jahr 2000. Daraus lässt sich ableiten, dass NBS ein sehr neues Phänomen sind. Die meisten NBS-Projekte wurden von staatlichen (Regierungs-) Stellen initiiert, gefolgt von der Öffentlichkeit und Wissenschaft. Privatwirtschaftliche Investitionen sind immer noch selten. Die am häufigsten erwähnten Motive für die Umsetzung von NBS und den damit verbundenen Projekten sind: Anpassung an den Klimawandel, Verbesserung der Lebensqualität, Steigerung der Attraktivität des Wohnortes, Verbesserung des Wassermanagements und Erhaltung der Biodiversität. Eine genauere Analyse der Motive zeigt, dass die meisten umgesetzten NBS-Fälle mono- oder bifunktional sind und nur eine Minderheit multifunktional ist. Hochwasserschutz ist häufiger ein Thema in kleinen Städte, wohingegen die Reduzierung der städtischen Wärmeinsel häufiger in größeren Städte als Ziel der NBS definiert wird.

Abb. 3: NBS Projekte in Städten von Europa (Entwurf: Manuel Wolff)

Die Effekte von NBS sind deutlich breiter gefächert und dienen neben der Bekämpfung des Klimawandels auch der Erholung, der Biodiversität sowie der Gesundheit der Bevölkerung und dem menschlichen Wohlbefinden. Die vorgestellten NBS-Projekten beinhalten in meisten Fällen die Vegetationselemente wie Gründächer, Fassadenbegrünung und Gemeinschaftsgärten. NBS werden auch gefördert um neben der Anpassung an den Klimawandel soziale und wirtschaftliche Vorteile zu generieren, hier sind insbesondere das menschliche Wohlbefinden, der soziale Zusammenhalt, die Schaffung neuer Arbeitsplätze (v.a. im Umweltbereich) anzuführen. Die größten Nutznießer der in der Datenbank aufgeführten NBS sind bei Weitem die Stadtbewohner.

Die Analyse der Datenbank lässt die folgenden Schlussfolgerungen zu:

  • In den meisten Fällen wurde NBS entwickelt, um die verschiedenen nachteiligen Auswirkungen des Klimawandels zu bekämpfen und über die Klimaanpassung hinausgehend zusätzlich wirtschaftliche, soziale und ökologische Vorteile in Form natürlicher Prozesse zu erbringen. So können zum Beispiel barrierefreie Gründächer verschiedene Dienste wie Aufnahme von Starkregenwasser sowie Verbesserung der Biodiversität generieren. Daher werden naturbasierte Ansätze oft als “no-regret” oder “low-regret“- Optionen bezeichnet, da die Maßnahmen auch von Nutzen sind, wenn die Auswirkungen des Klimawandels nicht wie vorhergesagt eintreten. Dies liegt unter anderem daran, dass sie eine Vielzahl von Anpassungen an die lokalen Klimabedingungen (z.B. der städtische Wärmeinseleffekt), die unabhängig vom Klimawandel existieren und durch diesen aber verschärft werden, ermöglichen.
  • Im Vergleich zu traditionellen Lösungen (graue Infrastruktur) bieten NBS flexiblere oder kostengünstigere Möglichkeiten, was sie für politische Entscheidungsträger besonders interessant und attraktiv machen. Nachhaltige Stadtentwässerungssysteme (SUDS) sammeln beispielsweise Regenwasser und dämpfen den Abfluss von Sturmwasser und erhöhen gleichzeitig die biologische Vielfalt im Vergleich zu herkömmlichen Kanalisationssystemen erheblich. Gleichzeitig sind SUDS günstiger zu installieren und zu warten als herkömmliche unterirdische Entwässerungssysteme, da sie ohne Rohrleitungen, Verbindungstanks oder Ausgrabungsarbeiten realisiert werden können.
  • Wie bei allen Lösungen für komplexe und miteinander verbundene Probleme können NBS unbeabsichtigt negative oder widersprüchliche Folgen hervorrufen. Die Umsetzung von NBS in einer Gemeinschaft kann eine andere Form der Gentrifizierung, Ausgrenzung oder ineffektiven Nutzung öffentlicher Freiräume hervorrufen.

Die bestehende Datenbank wird kontinuierlich erweitert, indem NBS der nächsten Generation identifiziert werden (z.B. abgeleitet aus Interviews mit NBS-Experten und aus Partnerprojekten wie Naturvation), die in anderen europäischen Städten implementiert werden können. So kann das transformative Potenzial von NBS parallel erforscht werden.

Ansprechpartner:

Dagmar Haase, Diana Dushkova, Geographisches Institut, Humboldt-Universität zu Berlin, Unter den Linden 6, 10099 Berlin, Germany oder Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung – UFZ, Department Landschaftsökologie, Permoserstraße 15, 04318 Leipzig, dagmar.haase@ufz.de

Website:

https://connectingnature.eu/

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