Ökosystemleistungen (ÖSL), von denen eine bestimmte Region profitiert, werden häufig von weit entfernten Gebieten erbracht. Ein klassisches Beispiel sind Agrarprodukte aus Übersee (z.B. Soja, Palmöl) oder die globale Klimaregulierung. Konsum in einer Region hat Auswirkungen auf eine andere, und Landnutzungsänderungen dort können wiederum Auswirkungen auf profitierende Regionen haben. Dieses sogenannte Telecoupling zwischen Regionen wurde jedoch bislang für die schwer quantifizierbaren immateriellen bzw. kulturellen ÖSL kaum untersucht (siehe dazu auch Blogbeitrag vom 26.03.2018).
In einer Studie in der Zeitschrift Ambio haben wir uns dieser Problematik angenommen und beispielhaft für zwei kulturelle ÖSL untersucht, die durch bestimmte Arten oder Artengruppen erbracht werden – den zugeschriebenen Existenz-/Vermächtniswert und die Vogelbeobachtung als physische Interaktion.
Um sich dem Existenzwert von Arten quantitativ zu nähern, haben wir uns, beispielhaft für Deutschland und die Niederlande als wertzuschreibende Länder, vierzig Jahresberichte von bedeutenden Naturschutzorganisationen angeschaut und alle Vogel- und Säugetierarten identifiziert, die in Verbindung mit Naturschutzaktivitäten genannt wurden und ihr Verbreitungsgebiet außerhalb der beiden Zielländer haben (Details zur Methode siehe Artikel). Für Deutschland ergaben sich beispielsweise diese fünf am häufigsten genannten Arten:
- Kranich
- Seeadler
- Fischadler
- Kiebitz
- Schwarzstorch
Das erste Säugetier, der Tiger, folgte erst auf Position 6, wohingegen für die Niederlande der Afrikanische Elefant die Liste anführte.

Legt man die Verbreitungsgebiete dieser Arten räumlich übereinander, lassen sich Gebiete identifizieren, die besonders viele Arten beherbergen, also eine besondere Bedeutung für die Bereitstellung der jeweiligen Existenzwerte haben (s. Karte). Für einen detaillierten Blick auf die Gebiete haben wir uns auf die jeweiligen Hotspots, also artenreichsten Gebiete konzentriert. Dies entsprach jeweils den oberen artenreichsten 2% der Erdoberfläche, etwa 11 Mio. km² (schraffierte Fläche in der Karte). Diese Hotspots konzentrierten sich für die Arten, die in Deutschland besonders geschätzt werden, vor allem auf Afrika südlich der Sahara, wohingegen für die Niederlande auch näher gelegene Gebiete im östlichen Europa und Zentralasien von großer Bedeutung sind. Um Fragen der Gefährdung der Arten, der Nachhaltigkeit und auch der globalen Gerechtigkeit beantworten zu können, untersuchten wir, wie hoch das Einkommen (BIP), der menschliche Einfluss (‚human footprint‘ nach Venter et al. 2016) und der Naturschutzstatus in diesen Hotspotgebieten ist. Für Deutschland zeigte sich, dass nur etwa 20% der Hotspots überhaupt irgendeinen Schutzstatus besitzen und unter 5% unter hohem Schutz (min. IUCN-Kat. II, entspricht Nationalpark) stehen. Dies spiegelte sich auch bei den Werten des Human Footprints wider, der in den Hotspots signifikant über dem globalen Mittel liegt. Auffällig war außerdem das geringe Einkommen in den Hotspotgebieten, insbesondere für Deutschland mit durchschnittlich 1.424 US$ pro-Kopf-Einkommen, gegenüber dem globalen Durchschnitt von 19.419 US$ (jeweils räumlich gewichtet, d.h. pro 10.000 km² Landesfläche).

Insgesamt konnten wir nicht nur eine übertragbare Methode zur Quantifizierung interregionaler Flüsse von kulturellen ÖSL entwickeln, sondern auch aufzeigen, mit welchen Regionen diese ÖSL verknüpft sind, welche Abhängigkeiten demnach bestehen, und welche Verantwortungen letztlich damit verbunden sind, die Ökosysteme dieser Regionen zu erhalten. So wirft sich die Frage auf, inwieweit sich beispielsweise reiche Länder wie Deutschland daran beteiligen sollten, auch Gebiete außerhalb ihres Territoriums zu schützen, von denen sie eben auch aus immaterieller Sicht profitieren.
Hinweise zur Veröffentlichung:
Schröter, M., Kraemer, R., Remme, R. P., & van Oudenhoven, A. P. E. (in press). Distant regions underpin interregional flows of cultural ecosystem services provided by birds and mammals. Ambio. https://doi.org/10.1007/s13280-019-01261-3
Freier read-only Zugang zum gesamten Artikel unter: https://rdcu.be/bRP2s
Interview mit Ko-Autor Alexander van Oudenhoven zur Bedeutung der Studie vor allem aus niederländischer Perspektive (in Englisch): http://bit.ly/savethegodwit
Zitierte Literatur:
Venter, O., Sanderson, E. W., Magrach, A., Allan, J. R., Beher, J., Jones, K. R., . . . Watson, J. E. M. (2016). Sixteen years of change in the global terrestrial human footprint and implications for biodiversity conservation. Nature Communications 7, 12558. https://doi.org/10.1038/ncomms12558