Peer von Döhren und Dagmar Haase

20. November 2019

geschrieben in Alle Neuigkeiten, ESP-DE Blog

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Ökosysteme leisten wichtige Beiträge zu menschlichem Leben auf der Erde. Sie stellen die Grundlagen für Ernährung, Bekleidung und weitere materielle Güter zu unserer Verfügung, regulieren die Umweltschäden und bieten Räume die wir zur Erholung und damit zum Erhalt unserer seelischen Gesundheit benötigen. All dies sind Beispiele für die positiven Ökosystemleistungen (engl. „Ecosystem Services“), durch welche die Natur unser Überleben und Wohlergehen ermöglicht. Doch die Natur bringt auch Prozesse hervor, die dem menschlichen Wohlergehen abträglich sind. Diese als „Ecosystem Disservices“ bezeichneten Leistungen erfahren erst seit etwa einem Jahrzehnt verstärkt wissenschaftliche Aufmerksamkeit, was auch den bislang fehlenden deutschen Begriff für dieses Konzept erklärt.

Ecosystem Disservices umfassen ein weites Feld von negativen Effekten, welche sich unterschiedlich stark auswirken. Dazu gehören gesundheitliche Beeinträchtigungen, zum Beispiel Allergien, insbesondere solche, die durch Pollen ausgelöst werden; aber auch Infektionskrankheiten; Schädlingsbefall an Nutzpflanzen, Nutztieren oder gar Menschen; Beeinträchtigungen der Sicherheit, wie sie zum Beispiel durch von Baumwurzeln verursachte Straßenschäden oder gar umstürzenden Bäumen verursacht werden, und Viele mehr. Für viele Naturfreunde erscheint das Konzept von Ecosystem Disservices auf den ersten Blick hinderlich, wenn nicht gar schädlich bei der Stärkung von ökologisch nachhaltigem Bewusstsein und Achtsamkeit für die natürliche Umwelt, denn Ecosystem Disservices berücksichtigen die Kosten, welche die Natur verursacht. Es gibt jedoch gute Gründe auch die negativen Aspekte von Ökosystemfunktionen wissenschaftlich zu bearbeiten und Das auch in einer breiteren Öffentlichkeit zu diskutieren. Durch die wissenschaftliche Erfassung und Beurteilung von negativen Ökosystemleistungen lassen sich unerwünschte Nebenwirkungen grüner Infrastruktur insbesondere hinsichtlich ihres Ausmaßes und der Betroffenen besser einschätzen um Widerständen gegen naturbasierte Ansätze bereits in der Planung begegnen zu können.

Es ist nicht immer klar zu unterscheiden welche Ökosystemleistungen positiv, also erwünscht und welche negativ, also unerwünscht sind. Vielmehr kommt es darauf an, welchen Wert die Betroffenen den Ökosystemleistungen beimessen. Was dem Einen zum Beispiel als erholsamer Teich gilt, gilt dem Anderen als Brutstätte für lästige Mücken. Aber auch der Entstehungskontext von Ökosystemleistungen spielt eine wichtige Rolle, so wird zum Beispiel die Entstehung von photochemischem Smog (bodennahes Ozon) durch das Zusammenspiel zwischen biogenen Kohlenwasserstoffen von Pflanzen und Luftschadstoffemissionen, welche durch die hohen Verkehrs- und Industriedichten in Städten produziert werden, verstärkt. Im ländlichen Raum sind die biogenen organischen Verbindungen für den frischen Duft auf einer Wiese oder im Wald verantwortlich.

Die Herausforderungen bei der Erforschung von unerwünschten Ökosystemleistungen sind zum einen zu erforschen welche ökologischen Prozesse für die Entstehung von Ecosystem Disservices ursächlich sind und zum anderen zu ermitteln, welche Bevölkerungsgruppen betroffen sind und wodurch diese Betroffenheit verursacht oder bedingt wird. Dies gilt in besonderem Maße für städtische Räume, in denen stärkere Wechselwirkungen zwischen natürlicher und gebauter städtischer Umwelt, sowie ein durch hohe Bevölkerungsdichten bedingter, hoher Nutzungsdruck auf Stadtnatur bestehen. Hinzu kommen vielfältige, potentiell konkurrierende, Ansprüche und Nutzungen bezüglich städtischer Grünflächen seitens der Stadtgesellschaft. Dies bewirkt, dass bestimmte EDS für den städtischen Raum besondere Relevanz erhalten, z.B. Konflikte zwischen grüner und gebauter Infrastruktur, in Form von beschädigten Verkehrsflächen oder Leitungen oder höhere Zahlen von allergischen Erkrankungen im Zusammenhang mit Pflanzenpollen oder gesundheitliche Beeinträchtigungen durch giftige Pflanzenteile. Der besonderen Brisanz von EDS im städtischen Raum tragen wir durch einen besonderen Fokus unserer Forschung auf urbanen negativen Ökosystemleistungen (englisch „Urban Ecosystem Disservices“) Rechnung.

Der von uns verfolgte Forschungsansatz versucht die biologischen Prozesse der Entstehung von Ökosystemleistungen mit den Betroffenen in Beziehung zu setzen. Dabei verfolgen wir ein Konzept, welches aus der Erforschung von Naturgefahren/ -katastophen (engl. Natural hazards/ Natural disasters) entlehnt wurde, da Naturgefahren gewissermaßen als „Teilmenge“ von Ecosystem Disservices interpretiert werden können. Der Forschungsansatz berücksichtigt die biophysikalischen Prozesse, welche potentiell unerwünschte Wirkungen verursachen und die gesellschaftlichen, kulturellen und technologischen Umstände, welche diese negativen Potentiale wirksam werden lassen. Dabei werden die gesellschaftlichen, technologischen und materiellen Unterschiede im städtischen Raum besonders berücksichtigt. Wir gehen davon aus, dass bestimmte Teile der Bevölkerung aufgrund verschiedener sozialer Eigenschaften von bestimmten negativen Ökosystemleistungen stärker betroffen sind, in der englischsprachigen Fachliteratur wird dies als „Vulnerabilities“ (dt. Verwundbarkeiten) bezeichnet.

Abb. 1: Gesundheitsrisiko Stadtbaum. Copyright: Peer von Döhren und Dagmar Haase

Durch unsere Forschung konnten wir demonstrieren, dass von Straßenbäumen verursachte Urban Ecosystem Disservices Potentiale innerhalb Berlins unterschiedlich verteilt sind, und dass sich die sozialen Merkmale, welche die Wirkung dieser Ecosystem Disservices Potentiale für einige Bevölkerungsgruppen verstärken, ebenfalls unterschiedlich innerhalb der Stadt verteilt sind. Dies bewirkt, dass sich die Risiken von Urban Ecosystem Disservices, mit denen in den verschiedenen Stadtbezirken zu rechnen ist unterschiedlich darstellen, wenn man zusätzlich zur einseitigen Betrachtung der Entstehung von Urban Ecosystem Disservices auch deren Wirkung innerhalb der Stadtbevölkerung mit einbezieht. Eine weitere bemerkenswerte Erkenntnis der Studie zu den Berliner Straßenbäumen ist, dass die von uns untersuchten sieben häufigsten Straßenbaumgattungen, welche etwa 80% des Straßenbaumbestands von Berlin ausmachen, hinsichtlich der untersuchten Urban Ecosystem Disservices-Potentiale eine sinnvolle Mischung darstellen, da sie, pro Straßenbaum gerechnet bei allen Ecosystem Disservices-Potentialen im niedrigen Bereich lagen.

Die wissenschaftliche Beschäftigung mit Ecosystem Disservices befindet sich noch in den Ansätzen. Die systematische Berücksichtigung von unerwünschten oder schädlichen Ökosystemleistungen war bei der Betrachtung von Ökosystemleistungen im Vergleich zu den positiven Ökosystemleistungen weit weniger intensiv. Die systematische Erforschung von negativen Leistungen innerhalb des Ökosystemleistungs-Konzepts hilft bei der Einschätzung der Wirkung von Maßnahmen zur Verbesserung der grünen Infrastruktur in Städten und ermöglicht die Berücksichtigung von bislang nicht klar erkennbaren Kosten in der Planung. Nicht zuletzt leistet die Berücksichtigung von negativen Ökosystemleistungen einen Beitrag zur Umweltgerechtigkeit, da diese Forschung die Identifikation jener Betroffener ermöglicht, die weniger von der grünen Infrastruktur profitieren und mit Anpassungs- oder Kompensationsmaßnahmen berücksichtigt werden können.

Publikation:

von Döhren Peer, Haase Dagmar. 2019. Risk assessment concerning urban ecosystem disservices: The example of street trees in Berlin, Germany. Ecosystem Services 40, 101031. https://doi.org/10.1016/j.ecoser.2019.101031.

Ansprechpartner:

Dagmar Haase, Peer von Döhren, Geographisches Institut, Humboldt-Universität zu Berlin, Unter den Linden 6, 10099 Berlin, Germany oder Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung – UFZ, Department Landschaftsökologie, Permoserstraße 15, 04318 Leipzig, dagmar.haase@ufz.de

Urban Ecosystem Disservices – das Beispiel der Berliner Straßenbäume

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